Abenteuertour auf den Kleinen Widderstein

geschrieben von Susanne am 22. Oktober 2018 um 23.47 Uhr
Kategorie: Bergtouren, Ernährung, Klettern
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Guido und ich schaffen es tatsächlich, um 6.30 Uhr aus den Betten zu kriechen, so dass einer Tour auf den 2236 Meter hohen Kleinen Widderstein nichts mehr im Wege steht. Außer vielleicht meiner eigenen Unsicherheit, ob ich dieser Tour überhaupt gewachsen bin. Laut dem Buch „Alpine Bergtouren Allgäu“ von Kristian Rath ist die Besteigung bzw. die Überquerung des Kleinen Widdersteins nämlich eine schwere, weglose Bergtour durch eine wilde Felslandschaft, bei der längere Passagen im II. Schwierigkeitsgrad geklettert werden müssen. Zitat aus dem Buch:

Wie so oft sind die kleineren Berge die schwierigeren – so auch bei den beiden Widdersteinen über dem Talschluss des Kleinen Walsertals. Während der Große Widderstein auf bezeichnetem Bergweg von zahlreichen Touristen besucht wird, fristet der Kleine ein Schattendasein, was unter anderem auch daran liegt, dass nur der erfahrene Bergsteiger, der sich sicher im alpinen IIer-Gelände bewegen kann, ernsthaft an eine Besteigung denken sollte.

Am 11. August haben Guido und ich ja schon einmal am Kleinen Widderstein geschnuppert. Damals hat der Berg einen sehr abweisenden Eindruck auf mich gemacht, aber heute bin ich zuversichtlich, dass er freundlicher gestimmt ist. Zu Beginn klappt auch alles wie am Schnürchen: Als Aufstiegsroute wählen wir den Weg Richtung Bärenkopf, laufen aber nicht über den Gipfel, sondern queren über Gras an der Westseite. Hier liegt der Nordgrat des Kleinen Widdersteins schon in Sichtweite:

Um zu seinem Fuße zu gelangen, wechseln wir zur Ostseite des Bärenkopfs und steigen von dort aus in die Scharte zwischen Bärenkopf und Kleinen Widderstein:

Hier ist auf einem Bild vom 11. August der Einstieg zu sehen:

Wir wählen jedoch nicht den „Normalweg“ über die Felsplatten, sondern steigen etwas unterhalb über einen schmalen Riss, der mir einen etwas einladenderen Eindruck macht, nach oben. So ganz ohne ist dieser Riss aber dann doch nicht, er ist nämlich leicht überhängend. Nach dieser ersten Kletterei liegt wieder Gehgelände vor uns. Aber nicht lange, schon bald geht es wieder in leichter Kletterei eine Rinne hinauf:

Anhand einer Tourenbeschreibung versuchen wir, uns im Felsgewirr zurechtzufinden. Das klappt auch erst einmal ganz gut. Aber schließlich stehen wir an einer Stelle, an der wir nicht mehr weiterkommen: In der linken Flanke soll es steil nach oben gehen, aber oben geht es nicht mehr weiter! Bevor wir weitere Experimente unternehmen, seilen wir uns lieber an, das Gelände ist nämlich extrem ausgesetzt und ein Fehler hätte fatale Folgen. Ich sichere, Guido erkundet das Gelände und befördert dabei eine ziemlich große Felsplatte Richtung Tal. Zu der Steilheit und Ausgesetztheit des Geländes kommt nämlich auch noch eine extreme Brüchigkeit hinzu. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir schon einmal so viele Steine wie auf dieser Tour losgetreten haben! Nachdem nach oben kein Weiterkommen möglich ist, entscheiden wir uns, ein Stück abzuklettern und finden ein schmales Band, dass uns auf der Ostseite um eine Wand herumführt. Von hier aus ergibt sich der weitere Aufstieg über Schrofengelände von selbst. Kurz unterhalb des Gipfels stoßen wir erneut auf ein Band, das in den Tourenbeschreibungen erwähnt wird. Wir wählen allerdings den direkten Weg hinauf zum Gipfel:

Und dann, ich kann es kaum glauben, stehen wir tatsächlich auf dem Gipfel des Kleinen Widdersteins:

Richtung Süden schauen wir auf den Südgipfel des Kleinen Widdersteins und auf das Felsmassiv des Großen Widdersteins:

Richtung Westen liegt der Hohe Ifen:

Im Norden das Kleinwalsertal:

Im Osten das Geißhorn und der Biberkopf:

Allzu lange können wir das Panorama nicht bewundern, denn durch unser langes Herumirren im Gelände ist es schon reichlich spät. Aber bevor es an den Abstieg geht, tragen wir uns ins Gipfelbuch ein:

Es ist von 2006, der Gipfel des Kleinen Widdersteins wird also nicht allzu häufig besucht. In den ersten Jahren waren es nur etwa zwei Dutzend Besteigungen pro Jahr, mittlerweile kommen aber mehr Leute hier hoch. Das liegt sicherlich auch an den zahlreichen Tourenbeschreibungen, die man im Internet findet. Diese sind, wie wir jetzt wissen, aber durchaus mit Vorsicht zu genießen! Ursprünglich wollten wir an die Besteigung des Nordgipfels die Überschreitung zum Südgipfel anschließen. Aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit nehmen wir allerdings von diesem Plan Abschied und steigen auf gleichem Weg wieder ab. Nun ja, mit kleinen Variationen, so zum Beispiel gleich zu Beginn: Wir steigen dort ab, wo die meisten Leute heraufkommen:

Hier bin ich schon unten, während Guido noch mitten im Fels hängt:

Auch der Rest des Abstiegs verläuft nicht immer genau auf der Aufstiegsroute, aber das ist kein Wunder bei dem Felsgewirr! Aber wir schaffen es eigentlich recht zügig und problemlos wieder zurück zum Gehgelände oberhalb der Felsplatten. Dort ist guter Rat erneut teuer, denn irgendwo soll hier ein Abseilring sein, aber wo? Man kann die Platten zwar auch abklettern, viele machen das sogar ungesichert, aber das traue ich mir nach der doch recht abenteuerlichen und kräftezehrenden Tour nicht mehr zu. Da wir den Abseilring nicht finden, muss ein Felskopf her, an dem wir eine Bandschlinge zum Abseilen befestigen können. Bald ist einer gefunden, aber leider ist an dieser Stelle unser Seil zu kurz, es reicht nicht bis zum Wandfuß. Wir müssen also abklettern und uns nach einer neuen Möglichkeit umgucken. Nach langem Suchen werden wir endlich fündig. Guido seilt sich zuerst ab, dann folge ich:

Tausend Dank an dieser Stelle an Guido, der mir geduldig das Prozedere des Abseilens erklärt. Denn da ich erst einmal das Vergnügen hatte, mich selbstständig abzuseilen, bin ich doch reichlich hilflos in dieser Sache. Es geht dank Guidos Anweisungen besser als erwartet, aber ich bin trotzdem heilfroh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben! Vom Fuße der Felsplatten aus steigen wir über Schrofengelände und ein Bachbett nach unten und landen irgendwann wieder auf dem Aufstiegsweg. Blicke zurück:

Ein Blick nach vorne unten:

Der Abstieg durchs Bachbett ist ein herrliches Vergnügen! So sieht es aus, wenn der Blick nach vorne oben gerichtet ist:

Wie zu sehen ist, wird es langsam dunkel um uns herum, aber schlussendlich erreichen wir den Parkplatz doch noch, ohne die Stirnlampen aus den Rucksäcken holen zu müssen. Zehn Stunden und zehn Minuten sind wir unterwegs, eine Zeit, in der es nichts gibt außer uns beiden und dem Kleinen Widderstein. :herz: Danke für dieses Abenteuer. 🙏🏻 So sehen meine Mahlzeiten von heute aus:

  • 6.45 Uhr: 630 Gramm Kakis „Aroma“
  • 19.05 Uhr: etwa 300 Gramm Clementinen „Orogrande“
  • 22.40 Uhr: 310 Gramm Bürgermeisterstück und 50 Gramm Knochenmark vom Rind, 60 Gramm Feldsalat, 150 Gramm Eisbergsalat, 80 Gramm Sesam

PS: Noch während der Rückfahrt von Baad nach Oberstaufen frage ich einen Kollegen, ob er morgen Zeit und Lust hat, meinen Dienst im Fitnessstudio zu übernehmen. Er hat! Nach solch einem abenteuerlichen Tag will ich nämlich nicht gleich wieder ins „normale“ Tagesgeschehen eintauchen.

PPS: Material, das während der Tour verloren gegangen ist: Ein Schraubkarabiner, der mir beim Abbauen eines Standplatzes aus den Fingern gefallen ist und eine lange Bandschlinge, die wir zum Abseilen benötigt haben.

PPPS: Ich trage an dieser Stelle irgendwann einen Link auf den Tourenbericht von Guido und ein Video nach.

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