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Abenteuer am NebelhornUm sechs Uhr war ich das erste Mal wach, um sieben Uhr stand ich auf und frühstückte 230 Gramm Ananas: Von der Qualität der Frucht war ich enttäuscht. Ich hatte die letzten Male Flugware von meinem Obst- und Gemüsehändler in Trier. Diese Früchte hatten eine gelbliche Farbe, dufteten sehr stark, waren perfekt reif und der Geschmack war, wie man so schön sagte, „vollmundig“. Dieses Exemplar sah aus wie Supermarktware, nämlich grün. Der Duft war „dezent“, der Geschmack so lala, d.h. essbar, aber wahre Begeisterung kam beim Verzehr nicht auf. Die Pomelo (Nettogewicht 850 Gramm), die ich um 9.30 Uhr aß, war da schon wesentlich leckerer. Wesentlich früher als sonst, nämlich schon um 10.40 Uhr, starteten Guido und ich zu unserer heutigen Tour. Im Vorgarten des Vermieters begegnete ich diesen vorwitzigen Krokussen: Wir wollten mit Schneeschuhen bzw. Splitboard wie am 25. Februar die Skipiste des Nebelhorns hinaufsteigen, dieses Mal allerdings bis zur Station Höfatsblick. Nach zwanzig Minuten Fußweg kamen wir am Ende der Talabfahrt an und schnallten Schneeschuhe bzw. Splitboard unter die Füße. Dabei beobachtete uns ein grauhaariger Herr in kurzen Hosen und mit Hanteln in den Händen, kam freundlich grüßend auf uns zu und meinte: „Da habt ihr ja noch was vor, ich habe meine Tour schon hinter mir. Ich bin schon seit sieben Uhr unterwegs. In meinem Alter muss man was für seine Fitness tun.“ Im weiteren Gespräch erzählte er, dass er jeden Morgen unterwegs war und schon seit vierzig Jahren in Oberstdorf lebte. Gespräche mit Ortsansässigen nutzte ich gerne, um unseren Wunsch nach einer Wohnung unter die Leute zu bringen, so auch heute. Er sprach uns Mut zu, wir würden hier schon etwas Passendes finden, wir müssten nur Geduld aufbringen. Nun, ich war ein sehr geduldiger Mensch, aber nach einem halben Jahr Sucherei fragte ich mich manchmal schon, ob wir jetzt nicht langsam genug Geduld bewiesen hatten. Liebes Universum, wie lange sollten wir uns denn noch gedulden? Wirklich ein ganzes Jahr, so wie es mir eine junge Frau im Juni, als wir in Bad Hindelang waren, prophezeit hatte? Der Herr sagte zu, sich bei uns zu melden, falls er etwas von einer Wohnung, die zu vermieten war, hörte. Wenn er uns eine Wohnung vermitteln konnte, wollte er in seiner Lieblingskneipe einen Schnaps auf unsere Kosten trinken, dass wäre dann sozusagen seine Provision. Falls es wirklich dazu kommen sollte, geben wir den Schnaps gerne aus. Dieses Mal machte ich keine Bilder während unseres Aufstiegs, so dass wir statt 60 nur 50 Minuten bis zur Seealpe benötigten. Nach einer Stunde und 55 Minuten waren wir am Sessellift Sonnengehren und nach zwei Stunden 15 Minuten an der Station Höfatsblick. Um nicht ins Schwitzen zu kommen, hatte ich mir dieses Mal für den Aufstieg meine Laufjacke statt der dicken Skijacke übergezogen. Trotzdem waren Unterhemd und Funktions-T-Shirt klatschnass, so dass ich mich in der Toilette der Station erst einmal umgezog, um während des Abstiegs warm zu bleiben. Guido dachte gar nicht an den Abstieg, er wollte weiter bis auf den Gipfel. Ich war unschlüssig, ob ich mitgehen sollte, da ein eisiger Wind wehte, der mir gar nicht gefiel. Ich ließ Guido daher erst einmal allein ziehen und überlegte in Ruhe, was ich wollte. Ich überlegte hin und her, bis plötzlich eine Stimme in meinem Kopf meinte: „Gehe zum Gipfel, das ist der richtige Weg.“ Also marschierte ich los, Guido hinterher. Bis zur Berstation der Koblatbahn, einem Sessellift, war der Aufstieg zwar anstrengend, aber sonst war alles im grünen Bereich. Auf dem Gipfelskiweg fing die Sache allerdings an, reichlich unheimlich zu werden. Der Wind wehte hier noch heftiger und eisiger als vorher schon. Guidos Spuren waren kaum mehr zu erkennen. Und was mir dann auf einmal noch auffiel: Es waren die einzigen Spuren! „Oh Mann, laufen wir hier eine gesperrte Piste hoch?“, schoss es mir durch den Kopf. „Egal“, meldete sich wieder eine Stimme, „lauf jetzt einfach weiter.“ Das machte ich dann auch, vorbei an Schneeverwehungen in allen Größen und fand einmal sogar die Muße, die Kamera herauszuholen: Der Weg sah auf dem Bild sehr friedlich aus, aber das täuschte: Ich fand ihn sehr, sehr unheimlich. Ich brauchte ein halbe Stunde bis kurz unterhalb des Gipfels, dann stieß ich auf Guido, der dabei war, sich für die Abfahrt vorzubereiten. Wir sprachen darüber, dass die Piste wahrscheinlich gesperrt war, aber er wollte trotzdem fahren. Für mich kam ein Abstieg nicht in Frage, einmal am Tag durch ein Sperrgebiet zu laufen, reichte mir. Ich wollte nur kurz zum Gipfelkreuz, bevor es mit der Bahn wieder nach unten gehen sollte: Am Schalter der Bahn wollte ich eine Karte kaufen. Aber Karten für eine Talfahrt gab es laut Auskunft des Bediensteten im Winter nicht. Ob er mich dann auch ohne Karte mitnehmen würde, fragte ich. „Klar doch!“, war seine Antwort. So konnte ich kurze Zeit später in der Bahn Richtung Station Höfatsblick gleiten. Oder vielmehr schwanken, denn der Wind beutelte die Bahn ganz schön. Von oben konnte ich die Guidos Spuren im Tiefschnee erkennen und war mir außerdem sicher, ihn auf der offiziellen Abfahrt der Koblatbahn entdeckt zu haben. Nun, er würde sicherlich lange vor mir im Tal landen, denn von der Station Höfatsblick aus wollte ich mit den Schneeschuhen nach unten wandern. Ich hatte die Schuhe schon an den Füßen und wollte gerade loslaufen, da kam ich auf die Idee, mir die Pistentafel anzugucken und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass die Strecke, die wir vor nicht allzu langer Zeit hinaufgekommen waren, mittlerweile gesperrt war. Ich zog also meine Schneeschuhe wieder aus und wollte zum zweiten Mal am Tag eine Karte für eine Talabfahrt kaufen. Aber am Schalter war niemand. Also ging ich hoch an die Schranke und erzählte dort einem Bediensteten der Bahn von meinem traurigen Schicksal, nicht absteigen zu können. Er schloss daraus, dass ich kein Geld hätte, um mir eine Karte kaufen zu können und nach einem Telefonat mit seinem Chef durfte ich dann ohne Karte die Schranke passieren. Das nächste Mal sollte ich aber Geld mitnehmen. „Mache ich!“ Während ich mit der nächsten Bahn zur Station Seealpe schwebte, erreichte mich ein Anruf Guidos. Er war gerade am Schalter der Station Höfatsblick, um sich eine Karte zu kaufen. Er hatte nicht gesehen, dass die Abfahrt zur Seealpe ebenfalls gesperrt war und war munter den Hang hinuntergefahren. Bis zur Talstation des Sessellifts Sonnengehren. Ab dort war die Abfahrt durch ein Band gesperrt, das nicht zu übersehen war. Er musste daher mit dem Sessellift wieder nach oben fahren und wie ich und alle anderen die Bahn nehmen. Ursache für die Sperrung war übrigens ein Lawinenabgang. Ob die Lawine vielleicht zu dem Zeitpunkt abging, als ich noch am Überlegen war, was ich tun sollte? Vielleicht war der Aufstieg zum Gipfel über eine gesperrte Skiabfahrt tatsächlich das kleinere Übel. Von der Station Seealpe konnten wir Gott sei Dank in aller Ruhe absteigen bzw. abfahren: Um 16.20 Uhr kamen wir dann wieder wohlbehalten in unserem Appartement an. Was für eine abenteuerliche Tour! Aber dank dieses Abenteuers waren alle Gedanken, die mich am Morgen noch beschäftigt hatten, wie weggeblasen. Zehn Minuten nach unserer Ankunft aß ich zuerst 120 Gramm Eiskraut, dann 300 Gramm Lachs (560 Gramm hatte ich auf dem Teller) und zum Schluss 60 Gramm Alge „Ramallo“. Um weiterhin geistig im Hier und Jetzt bleiben zu können, entschloss ich mich, die nächsten vier Stunden in der Sauna der Oberstdorfer Therme zu verbringen. Es waren vier wunderschöne, entspannende Stunden. Zurück im Appartement fing ich um 22.30 Uhr mit der letzten Mahlzeit des Tages an. Sie bestand aus 120 Gramm Knochenmark vom Rind, 360 Gramm Pferdefleisch (ein Rest, der eigentlich für Guido gedacht war, der aber lieber Lachs aß), 60 Gramm fettem Rindfleisch und 140 Gramm Feldsalat. Die Mahlzeit dauerte bis um 23.15 Uhr. Diese Seite wurde zuletzt am 27. November 2019 um 16.54 Uhr GMT geändert. |
„Dieses Exemplar sah aus wie Supermarkt-Ware, nämlich grün. Der Duft war “dezent”, der Geschmack so lala, d.h. essbar, aber wahre Begeisterung kam beim Verzehr nicht auf.“
Vielleicht hätte sie noch ein Zeit lang nachreifen wollen?
„Nun, ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber nach einem halben Jahr Sucherei frage ich mich schon manchmal, ob wir jetzt nicht langsam genug Geduld bewiesen haben.“
Meine aktuelle Wohnung habe ich gut zwei Jahre gesucht.