Die Geschichte der Skelettfrau

geschrieben von Susanne am 10. Oktober 2016 um 23.57 Uhr
Kategorie: Barfußgehen, Ernährung, Märchen, Wildpflanzen
(3) Kommentare
   
   
   

Es gibt eine Geschichte in dem Buch „Wolfsfrau“ von Clarissa Pinkola Estés, die mich beim ersten Lesen besonders berührte. Es war die Geschichte von der Skelettfrau:

Jahre vergingen, bis sich niemand mehr daran erinnern konnte, gegen welches Gesetz das arme Mädchen verstoßen hatte. Die Leute wussten nur noch, dass ihr Vater sie zur Strafe von einem Felsvorsprung ins Eismeer hinabgestoßen hatte und dass sie ertrunken war. So lag sie für lange Zeit am Meeresboden. Die Fische nagten ihr Fleisch bis auf die Knochen ab und fraßen ihre kohlenschwarzen Augen. Blicklos und fleischlos schwebte sie unter den Eisschollen und ihr Gerippe wurde von der Strömung um- und um- und umgedreht.

Die Fischer und Jäger der Gegend hielten sich fern von der Bucht, denn es hieß, dass der Geist der Skelettfrau dort umginge. Doch eines Tages kam ein junger Fischer aus einer fernen Gegend herangezogen, der nichts davon wusste. Er ruderte seinen Kajak in die Bucht, warf seine Angel aus und wartete. Er ahnte ja nicht, dass der Haken seiner Angel sich sogleich in den Rippen des Skeletts verfing. Schon fühlte er den Zug des Gewichts und dachte voll Freude bei sich: „Oh, welch ein Glück! Jetzt habe ich einen Riesenfisch an der Angel, von dem ich mich für lange Zeit ernähren kann. Nun muss ich nicht mehr jeden Tag auf die Jagd gehen.“ Das Skelett bäumte sich wie wild unter Wasser auf und versuchte, freizukommen. Aber je mehr es sich aufbäumte und wehrte, desto unentrinnbarer verstrickte es sich in der langen Angelleine des ahnungslosen Fischers.

Das Boot schwankte bedrohlich im aufgewühlten Meer, fast wäre der Fischer über Bord gegangen, aber er zog mit aller Kraft an seiner Angel, er zog und ließ nicht los und hievte das Skelett aus dem Meer empor. „Iii, aiii“, schrie der Mann und sein Herz rutschte ihm in die Hose hinunter, als er sah, was dort zappelnd an seiner Leine hing. „Aii“, und „igitt“, schrie er beim Anblick der klappernden, mit Muscheln und allerlei Getier bewachsenen Skelettgestalt. Er versetzte dem Scheusal einen Hieb mit dem Paddel und ruderte, so schnell er es im wilden Gewässer vermochte, an das Meeresufer.

Aber das Skelett hing weiter an seiner Angelleine und da der Fischer seine kostbare Angel nicht loslassen wollte, folgte ihm das Skelett, wohin er auch rannte. Über das Eis und den Schnee. Über Erhebungen und durch Vertiefungen folgte ihm die Skelettfrau mit ihrem entsetzlich klappernden Totengebein.

„Weg mit dir“, schrie der Fischer und rannte in seiner Angst geradewegs über einige frische Fische, die jemand dort zum Trocknen in die Sonne gelegt hatte. Die Skelettfrau packte ein paar dieser Fische, während sie hinter dem Mann geschleift wurde und steckte sie sich in den Mund. Denn sie hatte lange keine Menschenspeisen mehr zu sich genommen. Und dann war der Fischer bei seinem Iglu angekommen. In Windeseile kroch er in sein Schneehaus hinein und sank auf das Nachtlager, wo er sich keuchend und stöhnend von dem Schrecken erholte und den Göttern dankte, dass er dem Verderben noch einmal entkommen war.

Im Iglu herrschte vollkommene Finsternis und so kann man sich vorstellen, was der Fischer empfand, als er seine Öllampe anzündete und nicht weit von sich in einer Ecke der Hütte einen völlig durcheinandergeratenen Knochenhaufen liegen sah. Ein Knie der Skelettfrau steckte in den Rippen ihres Brustkorbs, das andere Bein war um ihre Schulter verdreht und so lag sie da, in seine Angelleine verstrickt. Was dann über ihn kam und ihn veranlasste, die Knochen zu entwirren und alles vorsichtig an die rechte Stelle zu rücken, wusste der Fischer selbst nicht. Vielleicht lag es an der Einsamkeit seiner langen Nächte und vielleicht war es auch das warme Licht seiner Öllampe, in dem der Totenkopf nicht mehr ganz so grässlich aussah, aber der Fischer empfand plötzlich Mitleid mit dem Gerippe.

„Na, na, na“, murmelte er leise vor sich hin und verbrachte die halbe Nacht damit, alle Knochen der Skelettfrau behutsam zu entwirren, sie ordentlich zurechtzurücken und sie schließlich sogar in warme Felle zu kleiden, damit sie nicht fror. Danach schlief der Gute erschöpft ein und während er dalag und träumte, rann eine helle Träne über seine Wange. Dies aber sah die Skelettfrau und kroch heimlich an seine Seite, brachte ihren Mund an die Wange des Mannes und trank die eine Träne, die für sie wie ein Strom war, dessen Wasser den Durst eines ganzen Lebens löscht.

Sie trank und trank, bis ihr Durst gestillt war und dann ergriff sie das Herz des Mannes, das ebenmäßig und ruhig in seiner Brust klopfte. Sie ergriff das Herz, trommelte mit ihren kalten Knochenhänden darauf und sang ein Lied dazu. „Oh Fleisch, Fleisch, Fleisch“, sang die Skelettfrau. „Oh Haut, Haut, Haut.“ Und je länger sie sang, desto mehr Fleisch und Haut legten sich auf ihre Knochen. Sie sang für alles, was ihr Körper brauchte, für einen dichten Haarschopf und kohlenschwarze Augen, eine gute Nase und feine Ohren, für breite Hüften, starke Hände, viele Fettpolster überall und warme, große Brüste.

Und als sie damit fertig war, sang sie die Kleider des Mannes von seinem Leib und kroch zu ihm unter die Decke. Sie gab ihm die mächtige Trommel seines Herzens zurück und schmiegte sich an ihn, Haut an lebendige Haut. So erwachten die beiden, fest aneinandergeklammert.

Diese Geschichte zeigte mir damals, dass das, was man sich „zufällig“ im Leben an Land zog, eigentlich immer passte, auch wenn es manchmal nicht danach aussah. Die Dinge nehmen, wie sie kamen, sie achten und wertschätzen, das führte zu einem inneren Frieden, der einen ruhig schlafen ließ.

Warum mir diese Geschichte gerade heute wieder in den Sinn kam, wusste ich allerdings nicht. Sie erinnerte mich aber daran, dass ich schon lange keinen Fisch mehr gegessen hatte. Lust auf Lachs hatte ich eigentlich schon länger, aber Bio-Lachs war im Moment aufgrund politischer Querelen nicht erhältlich. Und an den „normalen“ traute ich mich nicht so richtig ran. Nun, mal schauen, wenn der Fischhunger weiter stieg, werde ich vielleicht irgendwann doch meine Bedenken über Bord werfen. So sah mein heutiger Speiseplan aus:

  • 9.45 Uhr: 980 Gramm Tomaten „Variationen“
  • 12.40 bis 13.10 Uhr: 490 Gramm Eis(berg)salat, 140 Gramm Haselnüsse
  • 16.00 bis 17.00 Uhr: wilde Kräutermahlzeit
  • 19.00 Uhr: 780 Gramm Trauben „Regal“
  • 23.00 bis 23.30 Uhr: 390 Gramm Fleisch vom Rind, 420 Gramm Eis(berg)salat

Die Kräuter aß ich während einer Wanderung von der Bergstation der Imbergbahn zur Talstation der Hochgratbahn, die Streckenlänge betrug etwa acht Kilometer. Sie bestand unter anderem aus Augentrost, Löwenzahnblättern, Wiesen-Labkraut, Blüten vom Rotklee und Brennnesselspitzen:

augentrost

loewenzahn_blatt

wiesenlabkraut

rotklee_bluete

brennnessel

Am Abend war ich im Aquaria, in der Sauna und auf den Rasenflächen der Liegewiese, um barfuß zu gehen. Das Barfußgehen war sehr spannend, weil aufgrund der Dunkelheit nicht zu erkennen war, auf was oder besser gesagt auf wen ich trete. Im Sommer tummelten sich nämlich in den Abendstunden zahlreiche Nacktschnecken auf der Wiese. Aber die schienen mittlerweile in den Winterschlaf gefallen zu sein, meine Füße gaben jedenfalls keinen Schneckenalarm!

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Elfenkind
7 Jahre zuvor

Lust auf Lachs habe ich eigentlich schon länger, aber Bio-Lachs ist im Moment aufgrund politischer Querelen nicht erhältlich. Und an den „normalen“ traue ich mich nicht so richtig. Nun, mal schauen, wenn der Fischhunger weiter steigt, werde ich vielleicht irgendwann doch meine Bedenken über Bord werfen.

Gibt es vielleicht anderen Fisch in Bio-Qualität?
Konventioneller Lachs ist m.M.n. wahrlich unzuträglich für Körper und Geist. :verzweifelt:

Elfenkind
7 Jahre zuvor

Im Sommer tummeln sich nämlich in den Abendstunden zahlreiche Nacktschnecken auf der Wiese. Aber die scheinen mittlerweile in den Winterschlaf gefallen zu sein, meine Füße haben jedenfalls keinen Schneckenalarm gegeben.

Das schleimig-glitschige „Vergnügen“ mit nackten Füßen auf eine Schnecke zu treten, hatte ich schon ein paar Mal. :updown:
Nichts aber im Vergleich zum Erlebnis, eine Nacktschnecke beim Essen von Wilkräutern versehentlich im Mund zu haben und zu kauen. :sauer:

Elfenkind
7 Jahre zuvor

Danke für diese wunderschöne, unbeschreiblich berührende Geschichte! :herz:

Diese Seite wurde zuletzt am 16. Dezember 2019 um 17.20 Uhr GMT geändert.